Interview mit Jule Weber

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Wo ihre Texte hinfallen, bleiben sie nicht einfach liegen. Jule Weber wurde unter anderem 2012 als deutschsprachige U20-Meisterin im Poetry Slam und 2019 als Slam-Poetin des Jahres ausgezeichnet. Ihre auf Youtube hochgeladenen Texte werden zum Teil hunderttausendfach geklickt.
Was fühlst du, wenn du anmoderiert wirst?
Anmoderationen sind für mich wie eine Spannungskurve, die steigt und steigt, genau wie meine Aufregung, mein Fokus und meine Vorfreude in dem Moment, ich fühle so eine kleine innere La-Ola-Welle und am Ende explodieren einfach alle Gefühle – für ungefähr drei Sekunden – dann fange ich an zu reden und alles wird ganz ruhig.
Yannick Steinkellner und du bilden „Lingitz & Puchert“. Schreibst du lieber allein oder im Team und was ist das Besondere an Letzterem?
Ich mag das gar nicht miteinander vergleichen und ich würde auf keines von beidem verzichten wollen. Vorteil daran, im Team zu schreiben, ist auf jeden Fall, dass die andere Person immer dann noch eine gute Formulierung findet, wenn man selbst gerade hängt. Außerdem bietet es mögliche Dialogformen und manche Möglichkeiten in der Performance, die ich beim alleine schreiben so nicht habe.
Was ist das für dich wichtigste Feedback, das du jemals bekommen hast?
Jedes Mal, wenn mir jemand sagt, „du hast es genau auf den Punkt gebracht“, und sich durch meine Texte verstanden fühlt, immer wenn ich Worte dafür finde, was nicht nur ich, sondern auch andere sagen wollten und mir das mitgeteilt wird.
Wie hat es sich angefühlt, als Slam-Poetin des Jahres 2019 gekürt zu werden?
Das war natürlich ein ziemlich cooles Gefühl. In all den Jahren auf der Bühne habe ich oft zu hören bekommen, meine Texte seien sehr stark und wichtig, auch wenn sie dann regelmäßig gegen lautere, extrovertiertere Auftritte in Wettbewerben verlieren. Diese Auszeichnung von der Szene zu erhalten, hat das für mich nochmal greifbarer und echter gemacht.
Zu merken, dass erkannt wird, wer ich bin und welche Qualitäten ich mitbringe, war ein unglaublich schönes Kompliment.
Hast du das Gefühl, etwas von dir persönlich wegzugeben, wenn du einen Auftragstext schreibst?
Nicht unbedingt, nein.
Ich habe immer das Gefühl, steuern zu können, wie viel von mir persönlich ich beim Schreiben in einen Text packe. Außerdem schaue ich bei solchen Aufträgen immer sehr genau, was mit den Texten passiert, wie sie präsentiert werden und wohin sie gehen, ich gebe also gar nichts weg, ich begleite es die ganze Zeit und entweder nehme ich es am Ende des Tages auch wieder mit nach Hause, oder ich finde einen guten Ort dafür, an dem ich es beruhigt bleiben lassen kann.
Ein Blick auf deine Social Media-Accounts zeigt, dass dir Feminismus sehr wichtig ist. Wo fehlt dir noch Feminismus im Poetry Slam?
Leider hört man immer noch häufig die Aussage „aber es gibt gar nicht so viele gute Frauen, die man buchen kann“, wenn entschuldigt wird, warum wieder im Schwerpunkt Männer auf der Bühne stehen. Ich würde mir wünschen, dass noch mehr Veranstaltende in der Szene sich der Verantwortung, die sie haben, bewusstwerden. Es bringt nichts zu warten, bis irgendwo eine krasse Frau vom Himmel fällt und direkt Best-of-Formate bedienen kann.
Allen, die jetzt auf den großen Bühnen stehen, wurde das irgendwann mal einfach zugetraut und dann sind sie daran gewachsen, bis sie so groß geworden sind.
Letztendlich ist es eine Frage von Nachwuchsförderung, bei der man zum einen aufpassen muss, junge Talente nicht zu überfordern und zu verheizen, aber eben nachhaltig und stabil zu großen Künstler:innen aufzubauen.
Dann gäbe es bald keinen Grund mehr, sich da zu beschweren.
Nun ein paar „persönlichere“ Fragen:
Erzähl mal gerne, #washeutegutwar!
Heute habe ich mich für Ruhe und Zeit für mich entschieden, das war gut. Der Hund ist sehr glücklich und viel gerannt, als wir spazieren waren, das war auch gut. Jemand hat gefragt, „magst du auch noch einen Kaffee“, auch das war gut.
Meist entscheide ich erst am Ende vom Tag, was dieser eine Moment war, den ich für mich mit dem Hashtag festhalten möchte, aber diese Routine hilft mir auch dabei, solche Augenblicke über den ganzen Tag zu bemerken.
Diese Frage gestellt zu kriegen, war zum Beispiel auch schon sehr gut, weil ich direkt mal reflektiert habe, was heute schon Gutes passiert ist und siehe da: mir sind sofort Sachen eingefallen.
Für welchen Reim schämst du dich?
Sterne – gerne, aber ich sag nicht in welchem Text und im Zusammenhang fällt es auch gar nicht so sehr auf.
Auf welche Formulierung bist du besonders stolz?
Spontan fällt mir als erstes ein:
„ich trage nicht mein kreuz – es ist mein kreuz, das mich trägt“ aus dem Text „eine neue haut“. [Dieser Text ist übrigens auf Youtube zu finden.]
Zeig uns gerne eine Zeile aus einem unfertigen Text von dir! 😉
ich bin doch nicht auf den kopf gefallen
eher wieder auf den füßen gelandet
nach drehung im flug gegen die physik
zähle ich auf dem boden meine übrigen leben
Welcher Song bereitet dir Gänsehaut und warum?
„Haut“ von Tex im Duett mit Alin Coen, da passen Text (so, so lyrisch!) und Musik (so, so sanft und gleichzeitig stark) und die Stimmen so gut zusammen, dass es immer am ganzen Körper kribbelt.
Vor dir haben wir Rumo interviewt. Folgende Frage hat er uns für die nächste Person, die interviewt wird (in dem Fall du), vorgeschlagen: Was für einen Film/ eine Serie schaust du dir an, wenn mal wieder alles zu viel wird?
„Chef’s Table“ auf Netflix. Ich koche und backe mindestens genauso gerne, wie ich schreibe (und auch in vergleichbarer Qualität) und nichts bringt mich so sehr runter, wie Menschen über ihre Passion in Bezug auf Zutaten und Zubereitung sprechen zu sehen. Wenn in dieser Serie jemand an einer Kiste frischem Gemüse riecht, dann habe ich das Gefühl, das auch riechen zu können, ich kann die Hitze vom Herd fühlen und werde ganz ruhig und froh dabei.
Zum Abschluss:
Was magst du lieber: wenn das Publikum schnipst, während du einen Text liest, oder den Applaus danach?
Erst wollte ich antworten: ich mag beides. Aber wenn ein Publikum währenddessen nicht schnipst, aber dann applaudiert, ist es auf jeden Fall besser als andersrum.
Was würdest du der Person, die nach dir interviewt wird, für eine Frage stellen (wir verraten nicht, wer das ist)?
An welchen Ort gehst du, wenn es überall sonst zu viel wird?
Was ist dein Lieblingsgegenstand in deinem Wohnzimmer?
Mehr ein Ort als ein Gegenstand, aber: die große Sofaliegewiese – nachdem wir das Schlafsofa zum ersten Mal ausgeklappt hatten, wurde es einfach nie mehr eingeklappt. Da wohnen zwischen vielen Kissen ein Plüschhai namens Hainer, ein Thüringer Kuschelkloß namens Ruben Jonathan und die Schlange mit dem Elefanten im Bauch aus „Der kleine Prinz“. Oft liegt mittendrin der Hund, es ist genug Platz für mindestens fünf Leute, die sich zusammenkuscheln.
Was ist dein persönlich größter Traum im Bereich Poetry Slam?
Mehr Sichtbarkeit für das Genre „Spoken Word“ in der allgemeinen Kulturlandschaft.
Über Lyrik und Prosa sprechen da ja schon alle, ich würde mir noch mehr Bewusstsein dafür wünschen, dass es eben Texte gibt, die gelesen nicht so funktionieren, wie wenn sie gesprochen werden und was für eine hohe Kunst das auch ist.